Eigentum als freiheitliches Rechtsverhältnis: eine Aktualisierung der Kantischen Eigentumstheorie

In den vergangenen Jahren sind einige Probleme unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung an Konflikten rund um das Eigentum sichtbar geworden. Wahlbeeinflussungen durch Tech-Milliardäre, ökologische Krisen, sowie eine Verschärfung sozialer Ungleichheiten werfen zunehmend Fragen nach der Gestaltung der Eigentumsverhältnisse auf.

Als im vergangenen Jubiläumsjahr 2024 Kant als Philosoph der Freiheit und der Kritik geehrt wurde, wurden diese Fragen jedoch selten diskutiert. Im Jahr 1904 war das noch anders. Einhundert Jahre nach dem Tode Kants gab es im Anschluss an den Neukantianismus innerhalb wie außerhalb der akademischen Philosophie verschiedene Versuche über eine Neuaneignung der Kantischen Ethik die

normativen Prinzipien für die Errichtung einer gerechten Gesellschaft zu gewinnen. In unserem Beitrag wollen wir das weitestgehend in Vergessenheit geratene Projekt der Neukantianer aufgreifen und auf die Bedingungen seiner Aktualisierung untersuchen. Über das Neukantianische Projekt hinausgehend wollen wir danach fragen, welche Möglichkeiten Kants Eigentumskonzeption in der Metaphysik der Sitten bietet, um bestehende Eigentumsordnungen und daraus resultierende Machtverhältnisse und Ungleichheiten zu problematisieren.

Dabei arbeiten wir drei zentrale Argumentationsschritte heraus. Erstens beweist Kant in seiner rechtsphilosophischen Herleitung nur die Notwendigkeit von Eigentum überhaupt. Seine Eigentumstheorie ist damit nicht auf eine bestimmte Form des Eigentums – etwa das Privateigentum – festgelegt. Kooperative oder genossenschaftliche Eigentumsformen bleiben prinzipiell möglich.

Zweitens macht Kant in seiner Konzeption deutlich, dass das Eigentumsrecht nicht nur Einzelnen die Verfügungsgewalt über äußere Gegenstände der Willkür zusichert, sondern auch anderen Verpflichtungen auferlegt. Eigentumsverhältnisse begründen also nicht nur ein Verhältnis von Person und Sache, sondern vor allem auch intersubjektive Verhältnisse. Weil dem Rechtsanspruch des Einzelnen eine Verbindlichkeit aller korrespondiert, können Eigentumsrechte nicht einseitig, sondern nur durch den vereinigten Willen aller gestiftet werden. Konkrete Eigentumsordnungen und -verteilungen sind damit stets demokratisch zu legitimieren.

Drittens lassen sich die beiden zuvor entwickelten Aspekte zusammenführen. Denn Kant reflektiert in seiner Rechtsphilosophie auch, wie durch ungleiche Eigentumsverteilungen gesellschaftliche Abhängigkeiten und politische Machtverhältnisse entstehen können, die schließlich sogar das Prinzip des Rechts, die Garantie der Unabhängigkeit von der nötigenden Willkür anderer, zu untergraben drohen. In Weiterentwicklung seiner Konzeption wollen wir zeigen, wie diese Abhängigkeiten und Machtverhältnisse durch Maßnahmen der Umverteilung und die Etablierung kooperativer genossenschaftlicher Eigentumsformen durch den demokratischen Souverän überwunden werden können.

Unser Beitrag trägt dazu bei, Kants praktische Philosophie in den aktuellen Eigentumsdebatten neu zu verorten. Indem wir seine Rechtsphilosophie nicht als bloße Sicherung individueller Freiheit verstehen, sondern den Grundgedanken der politischen Freiheit, d.h. einer allgemeinen Gesetzgebung durch den vereinigten Willen aller, herausarbeiten und auf die bestehenden Eigentumsverhältnisse beziehen, eröffnen wir neue Perspektiven auf die Möglichkeiten einer demokratischen Gestaltung von Eigentumsordnungen.

21. Aug.
14:10 15:00
Wittenberg
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