FAQs

Wir beantworten häufig gestellte Fragen an unser Projekt sowie zum Verhältnis von Philosophie und verschiedenen Diskriminierungsformen.

„War Kant, Hegel etc. ein Rassist?“ – ist das die richtige Frage?

Die Frage, „War Kant, Hegel …. ein Rassist, Antisemit, Sexist …?“ dominiert nach wie vor die akademische und öffentliche Diskussion. Aber sie selbst ist nicht unproblematisch: Sie verengt die Auseinandersetzung mit dem Thema von vornherein auf die jeweilige Person und zielt darauf, am Ende mit einer viel zu schlichten Ja-Nein-Antwort abzuschließen. Das Problem ist zu komplex, als dass man es in abschließenden entweder-oder-Entscheidungen begreifen könnte. Es ist das Anliegen unseres Projektes, zu zeigen, dass wir andere Fragen stellen müssen – deshalb setzt unser Projekt ein mit der Frage, „Wie umgehen mit RSA in Klassischen Werken der Philosophie?“

Warum muss es ein Forschungsprojekt zu diesem Thema geben?

In vielen unserer sogenannten Klassiker treffen wir auf rsa Stellen oder Passagen; doch diese lassen sich nicht einfach als Einzelne isolieren oder bestimmten Personen zuschreiben. RSA sind auch nicht nur „historische“ Phänomene. Vielmehr gehen wir davon aus, dass rsa Ideologien über die Zeiten hinweg selbst Traditionen gebildet haben, die nicht nur, aber eben auch in philosophischen Werken ihren Ausdruck gefunden haben, die wir heute rezipieren. Rsa-Stereotype und Narrative prägen nämlich noch in der Gegenwart unsere Vorstellungen, Urteile und Handlungen. Bis heute werden Philosophen wie Kant zur Stützung von rsa-Ideologien herangezogen.

Wir stellen uns selbstkritisch die Frage, wie rsa Traditionen in philosophischen Werken unsere Begriffe, Denkmuster und philosophischen Praxen implizit und explizit prägen. Denn wenn wir die dieses Erbe nicht kritisch reflektieren, sondern unkommentiert lassen, dann schreiben wir dieses Erbe weiter in die Tradition der Philosophie ein.

Inwiefern ist die gegenwärtige akademische Philosophie rassistisch, sexistisch oder antisemitisch?

In der Regel tritt RSA nicht explizit auf, sondern zeigt sich in subtilen Formen der Abwertung und des Ausschlusses oder der Nicht-Anerkennung „anderer“ (z.B. nicht-europäischer) Traditionen des Philosophierens oder des Ausschlusses bestimmter Personengruppen. Auch das psychologische Phänomen der „Fremdwertnegation“ ist eine weit verbreitete Praxis in der Philosophie – also die Abwertung anderer, abweichender, kritisierter Positionen. Diese Praxis verbindet sich mitunter auch mit rsa-Klischees.
Das kann auch Personen passieren, die fest davon überzeugt sind, dass sie die Philosophie als eine kritische Wissenschaft betreiben und dass sie – nicht zuletzt deshalb – auch selbst vorurteilsfrei sind oder sich selbstkritisch prüfen. Weil man sich darüber – und das schließt auch uns ein – irren kann, sind wir der Überzeugung, dass es uns nur im interdisziplinären Austausch und im Austausch ist der Öffentlichkeit gelingen kann, die blinden Flecke und die unhinterfragten, aber möglicherweise problematischen Überzeugungen in Bick zu bekommen. Eine Anekdote macht vielleicht deutlich, was gemeint ist:

Vor einer Tagungsreise nach Brasilienreise vor ein paar Jahren, wurde ich (A.E.) von mehreren Kollegen gefragt, ob ich glaube, dass ich dort etwas lernen könne und: ob ich dort Entwicklungshilfe (in der Kantforschung) leisten möchte? Das mag nun vielleicht noch nicht als Rassismus gelten, aber es ist schon eine bemerkenswert überhebliche Haltung in einer globalisierten Welt und ein Beispiel für das weit verbreitete Ressentiment, dass man als westliche:r Philosoph:in allenfalls etwas zu „exportieren“ habe, aber nichts lernen könne von Kolleg:innen nicht westlicher Länder und Traditionen.

Worin besteht politische Dimension des Problems?

Uns ist die Anerkennung und Verdeutlichung der politischen Dimension des Problems wichtig. Entsprechend muss man RSA vor allem als ein überindividuelles Phänomen der Interaktion zwischen Personen begreifen, aber auch als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die also traditions- und strukturbildend sind und bis in unsere Gegenwart reichen. Die Schriften der Klassiker sind ein Medium, in dem rassistische, sexistische und antisemitische Vorstellungen bewahrt, aber in der Rezeption eben auch reproduziert werden. Die herabwürdigenden Stellen, die darin enthalten sind, entfalten ihre Wirkung heute noch. Auch die Diskussion darüber, wie man damit umgehen soll, hat sich zu einer emotional aufgeladenen, polarisierenden öffentlichen Diskussion entwickelt. Egal ob und wie man dazu sich verhält, nimmt man dazu Stellung.

Wie soll man aber nun umgehen mit Rassismus, Sexismus und Antisemitismus in den Werken, aber auch in der akademischen Praxis der Philosophie?

Uns geht es vor allem darum, wie wir im philosophischen Diskurs, in der Forschung und Lehre, aber auch in öffentlichen Diskussionen uns ein dauerhaftes Problembewusstsein aneignen und es bewahren können. Dies wäre eine angemessene, kritische Haltung, weil sie um ihre eigene, eingeschränkte Perspektive und deren Fehlbarkeit weiß … und: weil sie sich nicht durch ein einmal gefälltes Urteil beruhigen lässt. Im Gegenteil: Es geht immer wieder darum, neue selbstkritische Fragen zu stellen, um so die Verstrickungen des eigenen Denkens und Handelns neu betrachten und durcharbeiten zu können.

Welche konkreten Ziele hat das Projekt?

Außer hoffentlich aufklärenden Beiträgen zum öffentlichen Diskurs, geht es uns darum, in der akademischen Philosophie einen institutionellen Lernprozess anzuregen – also einen reflektierten und differenzierten Umgang mit unserem rsa Erbe auch fest in der Forschung und Lehre der akademischen Philosophie zu verankern. Dazu wollen wir versuchen neue, experimentelle Formate zu erkunden, die in Schulen und in der universitären Lehre eingesetzt werden können.

1. Grundlagen einer (selbst-)kritischen Philosophiegeschichte:

Das Thema in den historischen, gesellschaftlichen Konstellationen herausarbeiten, die Stilisierung der Klassiker zu isolierten Genies, die ihre Gedanken allein aus sich heraus entwickelten, in Frage stellen, unsere Geschichtsschreibungsmethoden, Kanonbildungsprozesse und Rezeptionsformen der Geschichte der Philosophie kritisch prüfen.

2. Kommentierte Textsammlungen und Material für Lehre und Forschung

Diese Sammlung wird begleitet von Interpretationsvarianten sowie exemplarischen philosophischen Argumentationsanalysen und stellt Übersichten zum jeweiligen Forschungsstand bereit.

In interdisziplinärer Zusammenarbeit sollen auf dieser Grundlage Materialien und Konzeptionen für die universitäre Lehre und den Schulunterricht erarbeitet werden, die auf der Projekthomepage verfügbar gemacht werden.

3. Experimentelle und kreative Formen der Vermittlung

Um auch bezüglich etablierter Denk- und Praxisformen des Philosophierens ein angemessenes Problembewusstsein zu entwickeln und sie gegebenenfalls einer Kritik zu unterziehen, werden von Beginn an neue und kreative Formate der (Selbst-)Aufklärung und Vermittlung erprobt. In ihnen soll die kritische (Selbst-)Reflexion durch Irritationserlebnisse, Verschiebung gewohnter Codierungen etc. angeregt und neue Perspektiven erfahrbar werden.

4. „Public Philosophy“ im Dialog

Im Rahmen des Projekts soll ein methodisch reflektiertes, differenziertes, insbesondere aber auf einen Dialog mit (und nicht auf eine Belehrung) der Öffentlichkeit angelegtes Konzept von Public Philosophy ausgearbeitet und von Beginn an in der Praxis erprobt werden. Die Philosophie wird darin als ein Teil der Öffentlichkeit verstanden, die ihrerseits auch als eine Reflexionsinstanz für den philosophischen Erkenntnisprozess fungieren kann.

Wie lautet das allgemeine methodische Selbstverständnis des Projektes?

Wir arbeiten auf der Grundlage eines Verständnisses von „reflektierender Urteilskraft“ im Anschluss an Kant und Hannah Arendt. Die „reflektierende Urteilskraft“ subsumiert nicht, wie die „bestimmende Urteilskraft“ unter bereits feststehende Begriffe, sondern nimmt ihren Ausgang von konkreten (auch Sprach-)Praxen, die sie auf kreative Verbindungen der darin jeweils maßgeblichen Aspekte hin reflektiert, um zu einer „praktischen Allgemeinheit“ im Unterschied zur bloßen Verallgemeinerung zu gelangen. Damit begreift sie ihren jeweiligen Gegenstand von vornherein unter der Perspektive der Pluralität möglicher (auch vergangener und künftiger) Standpunkte, um ihn politisch zu situieren. Entsprechend kann dieses Vorgehen den konkreten historischen Konstellationen, in denen rsa-Aussagen, Texte oder Abhandlungen stehen, Rechnung tragen und zugleich ein (selbst-)reflexives Verfahren etablieren. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition und ihren aktuellen Rezeptionsweisen soll sich so neuen Perspektiven und Einsichten immer wieder öffnen und die (Selbst-)Reflexion gewissermaßen auf Dauer stellen, statt die Problemstellung mit einer Subsumtion abzuschließen.