150-jähriges Jubiläum der Fries-Büste im Fürstengraben

Vor 150 Jahren, am 23. August 1873, wurde im Jenaer Fürstengraben die überlebensgroße Büste des Jenaer Philosophieprofessors Jakob Friedrich Fries eingeweiht. Fries selbst wurde genau einhundert Jahre zuvor am 23. August 1773 in Barby, unweit der Mündung der Saale in die Elbe, geboren und starb am 10. August 1843 in Jena.

Die Büste im Fürstengraben ist Teil der sog. via triumphalis, eines Ensembles von Büsten, die zwischen 1857 und 1906 errichtet wurden. In der via triumphalisinszeniert sich Jena als Ort wissenschaftlichen und politischen Fortschritts sowie als Geburtsstätte der deutschen Nationalbewegung. Die Friesbüste wurde nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 errichtet. Somit diente die Büste sowohl als Ort der Verehrung für Jakob Friedrich Fries, der als Ideengeber der in Jena gegründeten Urburschenschaft gilt und Unterstützer der Idee eines föderalen deutschen Staates war, als auch der Stiftung und Förderung einer deutschen Identität.1

Bei seiner Enthüllung trug die Büste in goldenen Lettern die Inschrift »Jacob Friedrich Fries. 1773-1843. Bedeutender Kantianer.«2 Bei den Reden, die ehemalige Schüler von Fries bei der Einweihung der Büste gehalten haben, wurde Fries gemäß seinem Selbstverständnis als »Fortbildner und Vollender der Kantischen Philosophie«3 und sein Buch »Neue Kritik der Vernunft« als »wahre Fortführung, Berichtigung und Vervollständigung der Philosophie Kant’s«4 gelobt. Diese (Selbst-)Einschätzung Fries als einzig legitimer Erbe des kantischen Projekts ist jedoch ebenso kritisch zu sehen wie die Einschätzung Johann Gottlieb Fichtes (1762-1814), der sich ebenso als einzig wahren Schüler Kants sah. Sowohl Fichte als auch Fries, der bei Fichte studierte, weichen in ihren philosophischen Überlegungen fundamental von der kantischen kritischen Philosophie ab.

Anlässlich ihres 100. Jubiläums 1973 wurde die Büste im Jahr 1972 saniert. Dabei wurden die Inschriften erweitert und abgewandelt: Auf der linken Seite des Sockels steht seitdem »Aus politischen Gründen 1819-1837 Lehrverbot für Philosophie«, was der Stilisierung Fries zu einem politischen Dissidenten diente. Auf der rechten Seite des Sockels steht »Befürwortete 1841 die Promotion von Karl Marx an der Universität Jena«. Marx wurde in Jena in absentia promoviert, d.h. ohne jemals in Jena gewesen zu sein. In der Büste von Lorenz Oken (1779-1851), der ebenfalls Karl Marx Promotion befürwortete und dessen Büste ebenfalls Teil der via triumphalis ist, findet sich keine solche Inschrift. Die Darstellung von Fries als Förderer von Marx entspricht der Staatsideologie der DDR.

An der Vorderseite des Sockels, wo dereinst »Bedeutender Kantianer« stand, ist heute »Philosoph des klassischen deutschen Idealismus« zu lesen. Auch dies kann als Versuch gedeutet werden, Fries näher an Hegel und damit an Marx zu rücken, läuft aber Fries Selbstverständnis diametral entgegen: Fries selbst sah sich als Kämpfer gegen die philosophischen Systeme von Fichte, Schelling und Hegel; Hegel polemisierte gegen Fries und nannte ihn den »Heerführer der Seichtigkeit«.5

Diese Eingriffe zeigen den politischen Charakter einer solche Büste und machen deutlich, dass es dabei nicht unbedingt darum geht, der vermeintlich geehrten Person gerecht zu werden. Schon bei der Einweihung 1873 als wurde Fries als »Vertreter der Universität Jena, der erlauchten Pflanzschule deutscher Philosophie«6 und als jemand, der «in reichem Maaße zum hohen Ansehen und Ruhme Jena’s beigetragen hat«,7 geehrt. Das lokale und das nationale Identifikationspotential werden dadurch miteinander verbunden, dass Fries auch als jemand,8 der »für das bedrohte Recht und die Freiheit des Vaterlandes“ […] kämpfte«, geehrt wird.

Damit ist auf Fries Unterstützung der Urburschenschaft, seine Teilnahme am Wartburgfest 1817 sowie das ihm infolge der Karlsbader Beschlüsse auferlegte Lehrverbot für Philosophie 1819 bis 1837 angespielt. Des Weiteren tat sich Fries 1816 mit seiner Schrift »Über die Bedrohung des Wohlstands und des Charakters der Deutschen durch die Juden« hervor, in der er mit für seine Zeit außergewöhnlicher Schärfe, etwa durch die Verwendung von Ungeziefer- und Krankheits-Metaphern, gegen Juden:Jüdinnen agitierte und forderte, »daß diese Kaste mit Stumpf und Stiel ausgerottet werde«.9 Trotz dieser exterminatorischen Sprache bleibt ambivalent, ob Fries die physische oder »bloß« die ideelle Vernichtung des Judentums fordert, wie das folgende Zitat zeigt:

»Die Judenschaft ist ein Ueberbleibsel aus einer ungebildeten Vorzeit, welches man nicht beschränken, sondern ganz ausrotten soll. Die bürgerliche Lage der Jude verbessern heißt eben das Judenthum ausrotten, die Gesellschaft presssüchtiger Trödler und Händler zerstören. Judenschaft ist eine Völkerkrankheit […].«

Jakob Friedrich Fries: Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakter der Deutschen durch die Juden, Heidelberg 1816, S. 10.

Judenfeindliche Bemerkungen und Stereotype finden sich auch in anderen Büchern von Jakob Friedrich Fries, insbesondere im »An Deutschlands Jünglinge« gerichteten Buch Von Deutschem Bund und Deutscher Staatsverfassung (1816), dass in der Burschenschaftsbewegung stark rezipiert wurde.

Insgesamt erinnern vier öffentliche Orte in Jena an Fries: Seine Grabplatte von 1843, die an der Friedenskirche auf dem Johannisfriedhof aufbewahrt wird, die 1873 errichtete Büste im Fürstengraben, der 1914 eingeweihte Friesweg im Philosophenviertel sowie eine im Winter 2000 eingeweihte Büste im Hörsaal Zwätzengasse 12 der Friedrich-Schiller-Universität.

In jüngerer Zeit sind diese öffentlichen Ehrungen für Fries wegen seiner antijüdischen Äußerungen Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen gewesen. 2019 wurde die Umbenennung der Friesweges im Stadtrat beantragt,10 der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen. Die Friesbüste im Hörsaal Zwätzengasse 12 war von Frühjahr 2020 bis zum Frühjahr 2023 verhüllt worden; währenddessen gab es zwei Forschungsseminar (SoSe 2020 und WiSe 2020/21) zu Fries und der Frage nach dem Umgang mit solchen Büsten: Die Ergebnisse des ersten Seminars sind online einsehbar, das Ergebnis des zweiten Seminares ist selbst eine Website, auf der die Möglichkeiten einer kritischen Erinnerungskultur diskutiert werden. Anlässlich des 9. Novembers 2022 wurde ein von Professor:innen der FSU initiierter offener Brief an den Stadtrat veröffentlicht, in dem die Verlegung des Fries-Büste aus dem Fürstengraben ins städtische Museum gefordert wird.11

Fries Verteidiger weisen meist auf dessen umfangreiche philosophischen Arbeiten hin, die unabhängig von seinen judenfeindlichen Schriften zu betrachten seien.12 Am Gedenken an Jakob Friedrich Fries werden sich auch in Zukunft noch Debatten entzünden. Denn es geht bei diesen Debatten niemals um Fries allein als isoliertes Individuum, sondern immer auch um die sich in solchen Denkmälern materialisierende umkämpfte Gegenwart der Vergangenheit und die Frage nach einem angemessenen Umgang mit ihr.

Aus diesem Anlass veranstalten wir gemeinsam mit dem Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) am 19. Oktober von 18-20 Uhr eine Podiumsdiskussion unter dem Titel: »Umkämpfte Gegenwart der Vergangenheit. Wie umgehen mit umstrittenen Denkmälern?«

Ort: Vortragssaal in der Thüringer Landesbibliothek, Fürstengraben 22, 07743 Jena
Datum: 19.10.2023
Uhrzeit: 18-20 Uhr
Der Vortragssaal ist barrierefrei zugänglich.

Es diskutieren:

Moderation:

Die Veranstaltung wird organisiert vom IDZ Jena und dem Projekt „Wie umgehen mit…?“ und findet im Rahmen der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus 2023 sowie der Alternativen Orientierungstage an der Friedrich-Schiller-Universität Jena statt.

  1. Michael Maurer: »Aufbau einer Denkmallandschaft. Die Jenaer ›via trimphalis‹ am Fürstengraben.« In: Jena. Ein nationaler Erinnerungsort, hrsg. v. Jürgen John and Justus H. Ulbricht, Weimar 2007, S. 245-257, hier S. 251. ↩︎
  2. Günter Steiger: »Ich würde doch nach Jena gehen«. Geschichte und Geschichten, Bilder, Denkmale und Dokumente aus vier Jahrhunderten Universität Jena, Weimar 1989, S. 164. ↩︎
  3. Karl Heinrich Schleiden: Festrede zur hundertjährigen Geburtstagsfeier von J. F. Fries. Gehalten am 23. August 1873 in Jena, Jena 1873, S. 10. ↩︎
  4. Karl Johann Christian Grapengiesser: Jakob Friedrich Fries. Ein Gedenkblatt an die Säkularfeier seiner Geburt in Jena am 23. August 1873, Jena 1873, S. 7. ↩︎
  5. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Frankfurt 1970 [1821], S. 18. ↩︎
  6. Karl Heinrich Schleiden: Festrede zur hundertjährigen Geburtstagsfeier von J. F. Fries. Gehalten am 23. August 1873 in Jena, Jena 1873, S. 6. ↩︎
  7. Karl Johann Christian Grapengiesser: Jakob Friedrich Fries. Ein Gedenkblatt an die Säkularfeier seiner Geburt in Jena am 23. August 1873, Jena 1873, S. 14. ↩︎
  8. Karl Heinrich Schleiden: Festrede zur hundertjährigen Geburtstagsfeier von J. F. Fries. Gehalten am 23. August 1873 in Jena, Jena 1873, S. 11. ↩︎
  9. Jakob Friedrich Fries: Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakters der Deutschen durch die Juden, Heidelberg 1816, S. 18 ↩︎
  10. https://www.otz.de/leben/judenhass-jenaer-strassen-sollen-umbenannt-werden-id225288089.html ↩︎
  11. https://www.jcrs.uni-jena.de/offener-brief-an-den-stadtrat-der-stadt-jena ↩︎
  12. Kay Herrmann: »Neuer Büstenstreit um den Philosophen Jakob Friedrich Fries in Jena – der verhüllte Philosoph«. In: TABULA RASA. Zeitung Für Gesellschaft Und Kultur, 15.06.2020. ↩︎